Die Autofahrer haben sich über die Radlnacht beschwert. Und schon ändert unsere willfährige Stadtregierung den Streckenverlauf...
Auf die Knie, der Tunnel wird gesperrt!

Lippenbekenntnis ist wirklich ein schönes deutsches Wort. Und eins der größten Lippenbekenntnisse der Stadt Augsburg dürfte der selbstverliehene Titel »Fahrradstadt 2020« sein. Ja, klar, hin und wieder werden ein weiteres Stückchen Radweg gebaut, eine neue Aufpumpstation in der Fußgängerzone installiert oder eine Einbahnstraße für Radler geöffnet. Das genügt seltsamerweise sogar dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC), der in Augsburg eher eine Außenstelle des Citymarketings zu sein scheint.
Hauptsache, es tut niemandem wirklich weh. Und genau das ist das Problem: Es wird nicht gehen, ohne jemandem wehzutun. Das Gute daran: Man tut nur den Autofahrern weh. Doch gerade die Autoindustrie und ihre Kunden sind die heiligste Kuh in Deutschland. Da kann der Diesel noch so dreckig sein, die Manipulationen noch so gesetzwidrig, der Flächenverbrauch noch so grotesk.
Ein schönes Beispiel liefert Augsburg mal wieder bei der Planung der »Radlnacht« im Juli. Nachdem die erste Ausgabe im vergangenen Jahr mit rund 3500 Teilnehmern allgemein als Erfolg gefeiert wurde, hätte Ottonormalradler durchaus annehmen dürfen, dass die Stadt als Veranstalter dem Prinzip treu bleibt. Nicht so in Augsburg. Der Grund: Die Autofahrer haben sich über die Radlnacht beschwert. Und schon ändert unsere willfährige Stadtregierung den Streckenverlauf. Der nächtliche Fahrradcorso ist nun kein Rundkurs mehr durch die Innenstadt, sondern führt von der Maxstraße über Schlachthof und Messe zum Rosenaustadion. Damit wird die groß angekündigte Veranstaltung schon in der zweiten Ausgabe zu einem unpolitischen Spaßevent, vergleichbar mit den üblichen Massenlaufveranstaltungen.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. 365 Tage im Jahr haut uns der »motorisierte Individualverkehr« Dreck und Lärm um die Ohren und wenn man einen Samstagabend mal nicht direktemang mit seinem überdimensionierten BMW auf die Maxstraße düsen und da lustig seine Runden drehen kann, knickt die »Fahrradstadt« sofort ein und kriecht zu Kreuze wie Heinrich IV. zu seinen besten Zeiten.
Und das im Jubiläumsjahr der Reformation! Wo bleibt der Radverkehrsbeauftragte mit einem beherzten »Hier radel ich, ich will nicht anders!«? Wo ist der Umweltreferent, der den Autofahrern ein fröhliches »Sie können mich im radlerhosenbewehrten Arsche lecken!« entgegenhält? Und wo ist der ADFC, der endlich seinen Schmusekurs beendet und der Stadtregierung ein angemessenes »Quäl dich, du Sau!« ins Goldene Buch schreibt, statt anhand einer wenig aussagekräftigen Studie mit 672 Teilnehmern in Augsburg die Stadt zu loben, weil sie den Radverkehr zur »Chefsache« gemacht hätte? Von der Chefsache hat man herzlich wenig, wenn einem mindestens einmal die Woche die Vorfahrt genommen, man fast vom Rad geholt und dann auch noch angemault wird. Es ist überhaupt eine Farce, dass sich Augsburg unter diesen Umständen »fahrradfreundlichste Stadt Bayerns« nennen darf - mit einer Note von 3,71! Mit so einem Abiturschnitt kommt man heutzutage maximal noch bei der Bundeswehr unter.
Und dann immer dieses Anpreisen der Fahrt durch den Schleifenstraßentunnel bei der Radlnacht. Mann, es gibt doch kaum ätzendere Bauwerke als unterirdische Straßen! Mit dem Bike da durchzufahren macht ungefähr so viel Spaß wie mit einer Ukulele im Olympiastadion aufzutreten. Und wenn dieses stadtteilzerstörende Betonmonster mal ein paar Stunden lang gesperrt wird, sollen wir jetzt vor Dankbarkeit auf die Knie gehen, oder was? Der Tunnel ist vermutlich nicht nur aus der Kfz-Steuer finanziert worden, oder?
In der Augsburger Politik herrscht offensichtlich immer noch die Annahme, Fahrradfahren sei ein in den Alltag übernommenes Hobby wie der Bonsai im Büro. Das Rad als gleichzeitig umweltfreundlichste und praktikabelste Lösung in der Stadt anzuerkennen, zu fördern und zu schützen, geht offensichtlich nicht in die Köpfe. Anders ist es nicht zu erklären, dass Verkehrsführungen, die man dem Autofahrer allerhöchstens ein paar Wochen zumuten würde, Radlern ohne Weiteres jahrelang aufgebürdet werden, ohne dass sich der Radverkehrsbeauftragte auch nur ein einziges Mal zu Wort melden würde. Ganz abgesehen davon, dass der sich sowieso nie zu Wort meldet, was auch schon viel über die Ernsthaftigkeit der Bestrebungen aussagt. Hauptsache, das Stadtmarketing funktioniert und die UNESCO setzt irgendwann ihren Stempel drauf. Wasser marsch!