Mit der Energie, die so manche beim Themenkomplex Stadtwerke-Erdgas-Schwaben-Thüga entwickeln, könnte man die ganze Stadt locker einen Winter lang heizen...
Energisch vergaloppiert

Ja, es gibt sie noch: Menschen, Augsburger, die von »der Fusion« nichts gehört haben, von der Theatersanierung auch nicht. Vom Bahnhofsumbau? Ja, am Rande der Baugrube. Schadet auch nichts. Mit der Energie, die so manch andere beim Themenkomplex Stadtwerke-Erdgas-Schwaben-Thüga entwickeln, könnte man die ganze Stadt locker einen Winter lang heizen. Das dürfte wirklich einmalig sein: Ein Bürgerbegehren, das elftausend Unterschriften in ein paar Wochen sammelt und aufgrund gewisser Zweifel an der Zulässigkeit nach Erreichen des Ziels sofort wieder von vorne anfängt – mit neuer Fragestellung, aber unveränderter Stoßrichtung – und beste Voraussichten hat, die Unterstützerzahl in noch kürzerer Zeit erneut zusammen zu bekommen!
Es ist fast schon rührend (und eigentlich ziemlich cool), wie sehr den Augsburgern ihre Stadtwerke am Herzen liegen. Darüber hinaus sind bei der ganzen Sache blöderweise mehr Reizworte im Spiel als in einem Roman von Charlotte Roche: Fusion klingt ja schon scheiße, nach Heuschrecke und Stellenabbau, nach Börsenbazis und Brüsseleien, nach satten Politikern in großzügig aufwandsentschädigenden Aufsichtsräten, nach Abu Dhabi und Ackermann – kurz: dem Untergang der zivilisierten Menschheit, die sich regelmäßig beim großen Kulturfest auf der Maxstraße trifft.
Und dann noch das: Thüga! Aktiengesellschaft! Woher? Aus Gotha? In Thüringen?! Ja, spinnt's ihr denn? Wir haben Deutschland doch nicht wiederbereinigt, um uns von den Ossis in die Trinkwasserbrunnen spucken zu lassen! Wie? Es geht gar nicht ums Wasser? Wie, die sitzen in München? Pff! Fehlt eigentlich nur noch ein Video der Thüga-Aufsichtsratsvorsitzenden Petra Roth, wie sie bei einer Diskussion an der arabischen Universität von St. Petersburg den Augsburgern den Stinkefinger zeigt.
Da hilft der neutrale, allein den Fakten verpflichtete Blick, dachte ich mir, als die Fusionsdebatte Anfang des Jahres aufbrandete, und habe versucht, von Wissenschaftlern der hiesigen Bildungsleuchttürme eine Einschätzung »von außen« zu bekommen. Der Sprecher der Uni Augsburg sucht vermutlich immer noch nach einem Gesprächspartner. Die Hochschule dagegen hat innerhalb weniger Stunden abgelehnt, mit der etwas seltsamen Begründung, das sei »eine politische Entscheidung«. Hm. Ja, wie alles einigermaßen Relevante halt. Danke, Elfenbeinturm!
Irgendein gar nicht so ultrakonservativer Wissenschaftler hat letztens wieder die These aufgestellt, dass der Westen, hätte es einen solch hohen Grad an Bürgerbeteiligung schon immer gegeben, heute noch keine flächendeckende Stromversorgung hätte. Da ist sicher was dran, aber die Zahnpasta will nun mal partout nicht in die Tube zurück. Wobei es natürlich außerordentlich interessant gewesen wäre, zu erfahren, wie so eine Volksabstimmung im Römischen Reich zur gebührenpflichtigen Nutzung der »Via Claudia« für Goten, Wandalen, Hunnen, Angeln und Sachsen wohl ausgegangen wäre.
Doch zurück in unsere eigene kleine Römerstadt: Man kann sich tatsächlich leicht vergaloppieren in allerlei Szenarien. Und man kann sich verschätzen. Dass die Verantwortlichen im Rathaus und am Hohen Weg das Erregungspotenzial um die Fusion komplett unterschätzt haben, ist mittlerweile mehr als deutlich geworden und eine Stadtregierung, die ein solches Engagement, wie es die Fusionsskeptiker an den Tag legen, ins Leere laufen lässt, wäre nicht nur schlecht beraten, sondern fahrlässig bzw. lebensüberdrüssig. Ganz egal, wie man zu der Fusion steht, wenn sich jetzt nicht Gegner und Befürworter an den berühmten einen Tisch setzen, kann man sich in Zukunft gleich das ganze Esszimmer sparen.
Normalerweise gestehen Politiker ihre Irrtümer nur ein, wenn man sie dabei erwischt hat, wie sie mithilfe der als Sekretärin getarnten Ehefrau betrunken Steuern hinterziehen. Es geht auch anders. Jetzt ein bisschen Größe im Rathaus, das Kriegsbeil begraben und dabei den berühmten einen, gemeinsamen Strang ausbuddeln? Hm? Wie wär’s? Nicht, dass der Böhmermann kommen muss, um uns die Sache zu erklären. Das wäre nun wirklich peinlich, dann f l i p p e n wir aus. Wir können uns schließlich wunderbar selbst zerfleischen. Weil wir Augsburger sind.