Blöderweise hat ausgerechnet jetzt die Moderne vergessen, Moderne zu sein, zumindest in Sachsen - oder in Stadtbergen...
Je suis Noël?
Also, sorry, Leute, aber ein bisschen mehr Euphorie beim Weihnachtsfest hätte ich mir schon gewünscht! Doch statt »Je suis Noël« gab's wieder nur keinen Schnee, dafür reichlich Weihnachtsmärkte, ohne die heutzutage offensichtlich keine Institution mehr auskommt. Oder ist der demonstrative Verzehr von riesenhaften Bratwürsten und klebrigen Weinpanschereien auch schon eine Demonstration unserer überlegenen Kultur? Der westliche »Ausbreitungstyp« verlegt den Vorgang halt lieber ins Körperinnere, selbst die Händler auf dem Christkindlsmarkt haben sich beschwert, dass keiner mehr Krippen und Socken kauft vor lauter »kulinarischem Angebot«. Ein Hoch also auf die alte Schule der nikolausbemützten Drogeriemarktverkäuferinnen, die unter ihrem lustigen Kopfschmuck grimmiger schauen als sämtliche Krampusse im ganzen Allgäu!
In solch unsicheren Zeiten greift man dankbar nach jedem Strohhalm, da kommt der aktuelle Gemeinschaftspfarrbrief von St. Georg, St. Maximilian, St. Simpert und St. Sebastian gerade recht. Hier ist die Welt noch in Ordnung: Nicht ein einziges Mal findet sich das Wort des Jahres, Flüchtlinge, in der immerhin dreißigseitigen Wurfsendung, stattdessen ergeht sich Stadtpfarrer Florian Geis in tiefschürfenden Betrachtungen über die vergangenen zwölf Monate: »War es ein gutes Jahr dieses 2015? Das kommt auf die Perspektive an.« Stimmt. Aus der Schlauchbootperspektive wahrscheinlich eher nicht...
Zu guter Letzt wird auf der Rückseite des Pfarrbriefs in nicht ganz astreiner Grammatik, aber umwerfender optischer Gestaltung, der »Jubiläumsablass« angekündigt. Und das ist jetzt echt mal abgefahren, vorausgesetzt man ist Mittelalterfan: Der Papst kann ein sogenanntes »Jubeljahr« ausrufen, in dem unter bestimmten Bedingungen sämtliche Sünden erlassen werden, selbst die ganz bösen, wie Abtreibungen oder SPD-Wählen. Als die pfiffige Idee um 1300 herum aufkam, durfte das Ganze nur alle hundert Jahre stattfinden, doch die Erfordernisse erzwangen bald schon eine 25jährige Wiederkehr. Und wie es halt so geht, wenn man mal damit angefangen hat: Vati kann auch besondere »Jubeljahre« außer der Reihe verkünden, so zum Beispiel jetzt zur Erinnerung an das zweite vatikanische Konzil 1965, dem angeblichen Aufbruch der katholischen Kirche in die Moderne.
Blöderweise hat ausgerechnet jetzt die Moderne vergessen, Moderne zu sein, zumindest in Sachsen. Und leider zuletzt auch in Stadtbergen. Hier haben Brandstifter versucht, eine Flüchtlingsunterkunft anzuzünden – an fünf Stellen! Hüstel. Haben Sie schon mal probiert, bei Ihrem Nachbarn Feuer zu legen? Fünfmal hintereinander? Klingt ehrlich gesagt nicht gerade danach, als ob das Gebäude unter besonderer Beobachtung gestanden hätte, was angesichts des neuen deutschen Volkssports »Migrantengrillen« vielleicht auch im friedlichen Stadtbergen in Erwägung zu ziehen gewesen wäre.
Man kann aber auch einfach mal in Ruhe drüber nachdenken. Wie Peter Grab. Dessen Partytruppe »Wir sind Augsburg« (WSA) hat letztens so bisschen an Sympathien verloren, weil sie immer noch mit den Schmuddelkindern von der hiesigen »Alternative fürs Denken« (AfD) spielt, als ob es Björn Höcke & Co nie gegeben hätte. Das passt offensichtlich nicht allen WSA-Mitgliedern, immerhin vierzehn von insgesamt neunzig haben ihren Austritt verkündet. Doch wer Peter Grab kennt, weiß: Alles kein Grund zur Panik! »Die Empfehlung der Mitglieder, die Ausschussgemeinschaft AfD/WSA aufrecht zu erhalten, wird sich unser Stadtrat Peter Grab zu Herzen nehmen und sich dazu über die Feiertage Gedanken machen«, verkündete eine Pressemeldung Mitte Dezember, die mit dem echt überzeugenden Spruch endete: »WSA war nie rechtspopulistisch und wird es auch nie werden – jedenfalls nicht, solange der aktuelle Vorstand den Verein leitet.« Das ist doch beruhigend, wenn die Gesinnung einer politischen Vereinigung davon abhängig ist, wie der derzeitige Vorstand grad so drauf ist.
Nun denn, sind wir gespannt, was Peter Grab sich überlegt, ob des Stadtpfarrers neues Jahr ein besseres wird (kommt natürlich immer auf die Perspektive an) und ob die Augsburger Einzelhandelsverkäuferinnen die Nikolausmützen rechtzeitig gegen Faschingsperücken austauschen. Der Schmarrn geht nämlich auch schon Ende Januar los. Aber das ist eine andere Kolumne...