Leben mit dem toten Hund

Verfasst am: 01.12.2012 | Autor: Florian Kapfer

Wow, hätte nicht gedacht, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen so fies sein kann...

Kennt man eigentlich nur noch aus Zeiten, in denen es nix anderes gab, und man in Ermangelung an Alternativen stundenlang Tennisübertragungen ertragen musste, wenn man partout glotzen wollte. Nun also die ARD-Themenwoche „Leben mit dem Tod“, während derer sich passenderweise der November von seiner nebligsten Seite zeigte. Statt entspannter Unterhaltung gab’s einen Problemfilm nach dem anderen: Aids, Krebs, Kindstod, Alzheimer, Demenz, Sterbehilfe, Patientenfesseln, Ärztefehler - und dann das Ganze wieder von vorne. Das Gute daran: So ein Deadman-Triathlon bringt einen wirklich zum Nachdenken - was denn wohl im Kino läuft.

Und wie das „Leben mit dem Tod“ so spielt, stoße ich auf dem Weg ins Lichtspielhaus auf eine einsame Bücherkiste. Darin: Max Kruses „Lord Schmetterhemd“, in den späten Siebzigern kongenial in Szene gesetzt von der Augsburger Puppenkiste. Das Buch liegt jetzt auf meinem Nachtkästchen. Hier hört’s aber mit der Romantik auch schon wieder auf. Es ist wie so oft bei Kindheitsschätzen, als Erwachsenen kickt’s einen halt doch nicht mehr so, vermutlich weil wir dauernd mit dem Tod leben müssen.
Max Kruse hat sich übrigens selbst als „in der Wolle gefärbter Agnostiker“ bezeichnet. Ein Wunder also, dass seine Bücher überhaupt noch verkauft werden dürfen, bei all dem Religionshokuspokus, der zurzeit so angesagt ist. Das wäre sowieso meine absolute Wunschfernsehsendung: In einer Folge der BR-Reihe „Der Letzte seines Standes“ nimmt der örtliche Mittelalterverein den weltweit letzten Kreuz-, Stern- oder Halbmondfreak in seine Reihen auf und schließt die Tore zur Hölle mit einem fröhlichen „War da was?“.

Bis es soweit ist, müssen wir weiter mit dem öffentlich-rechtlichen Tod leben, meinetwegen auf ZDF. Dort erwartet einen zum Beispiel das „Montagskino“, präsentiert von Rotkäppchensekt. Woraufhin sich natürlich die Frage stellt: Wie alt war eigentlich Rotkäppchen? Ob sie den Sekt überhaupt schon trinken dürfte? Und die Filme sehen? Schließlich ist die „nachfolgende Sendung“ meistens für „Zuschauer unter 16 Jahren nicht geeignet“. Was ein sehr rücksichtsvoller Hinweis des ZDFs ist, schließlich würden sich neunzig Prozent der Untersechzehnjährigen zu Tode langweilen bei dem Schrott. Im Normalfall ballern sich hier irgendwelche Noch-, Ex- oder Wieder-Polizisten und sonstige Ordnungsverhüter durch eine Bande Drogendealer-Waffenschieber-Kinderpornoverleger und versuchen zwischendrin, ihre eigene Familie zu retten, die seit Jahren mit dem Tod lebt.

Ein Grund für die Beliebtheit dieser Ballerei mit Kunstanstrich ist vermutlich, dass man das hausgemachte Programm im Vorfeld überstanden hat. Wenn hier nicht gerade die RAF oder irgendwelche Nazigeneräle abgefeiert werden, bekommt man gerne komplett spannungsfreie Krimis geliefert von Drehbuchschreibern, die nicht mal ein halbes Kapitel „Lord Schmetterhemd“ zustande bringen würden. Zurzeit stecken diese Phantasieabstinenzler am liebsten Kinder oder Frauen oder beides in irgendwelche Verliese, wo dann - Sie ahnen es - mehr schlecht als recht mit dem Tod gelebt wird.

Nein, da hat das ZDF schon Recht, das ist nichts für Jugendliche. Die sind meistens sowieso sehr viel schlauer als wir alten Säcke. Oder haben Sie schon mal gesehen, dass zwei 14jährige schweigend nebeneinander stehen, während sich ihre Tölen gegenseitig am Arschloch rumschnuppern? Na, sehen Sie! Die würden das eklig finden. Der normale Hundebesitzer hingegen trägt’s mit Fassung, streicht seinem besten Freund liebevoll über die Schnauze und hofft darauf, dass das nächste Herrchen/Frauchen optisch bisschen mehr hergibt. Wie nennt man eigentlich dieses Hundeflirten? Dirting? Und wann kommt endlich die ARD-Themenwoche „Leben mit dem toten Hund“? Untertitel: „Keine Angst, der tut nix mehr!“ Das wäre ein garantierter Straßenfeger - und die zivilisierte Menschheit könnte sich mal wieder unbeschwert auf die Straße trauen, Bücher tauschen und den Tod einen guten Mann sein lassen.