Sommer in Augsburg

Verfasst am: 01.09.2014 | Autor: Florian Kapfer

Was früher Schattenparker, Frauenversteher oder Warmduscher waren, sind jetzt die Rad-über-den-Hochablass-Schieber. Zeig mir, wie du das Wehr querst und ich sage dir, wer du bist!

»Scheiß Ebola!«, dem sonnengegerbten Weizentrinker am Kuhseekiosk (dem mittleren) hätte es fast die Sonntagslaune verhagelt. Dass die deutsche Wirtschaft nach den Handelssanktionen gegen Russland nun einen weiteren Schlag hinnehmen könnte aufgrund epidemiebedingter Reisebeschränkungen, war selbst in dieser Hochburg der einfachen Freizeitfreuden ein heißdiskutiertes Thema. Freilich nur so lange, bis Kellnerin Sabine das Gespräch auf die erschwerten Arbeitsbedingungen in der Ausflugsgastronomie und ihre Abwanderungsgedanken lenkte. Die unzweifelhaft unkommode Aussicht, die nächsten Sommer ohne die langjährige Kioskqueen verbringen zu müssen, erschien unserem Protagonisten dann doch etwas dramatischer als die Seuche im fernen Afrika. Und wer Sabine gesehen hat, die zwischen all den körperlichen und modischen Zumutungen ihrer Mitbürger eine Würde ausstrahlte wie Mutter Teresa auf der Leprastation, wird ihm ohne Weiteres zustimmen. Aus dem batteriebetriebenen Weltempfänger des tätowierten Goldkettchenträgers mit Hautkrebsresistenz tönten derweil Heroes del Silencio und Supertramp als wäre das Jahr 2000 nie passiert.

Es ist das alte Problem: Spätestens ab Mitte August ist der Augsburger Veranstaltungskalender so prall gefüllt wie die Mitgliederkartei einer christlichen Pfarrbücherei in Kabul und wenn einem die dicke Luft in den eigenen vier Wänden dann doch irgendwann auf den Kopf fällt, führt der Weg gerne mal in Richtung Lech.
Ich saß mit einem Kumpel an besagtem Kiosk bei einem Chabeso-Radler und Pommes. Pommes rotweiß sind meiner Meinung nach der absolute Höhepunkt eines Badetages, zumindest wenn die Mohrenkopfsemmel alle sind und die Brauseuhren abgenagt bzw. vom Kuhseewasser zersetzt. Chabeso-Radler hingegen finde ich etwas gewöhnungsbedürftig, was aber vermutlich nur an der fehlenden Tönung der Flasche liegt, die einen, zumal an so expertenreicher Stelle, unweigerlich als Softdrinkkonsument abstempelt, da helfen auch die zweieinhalb Umdrehungen der heimischen Biermischung nichts. Mein Freund hatte ein Augustiner vor sich stehen. Soviel zum Lokalpatriotismus der hiesigen Gastronomie.

Wir hatten uns – die Drahtesel vorschriftsmäßig an der Hand führend, versteht sich – auf dem Hochablasssteg getroffen, dem Ort, wo sich sozial gesehen die Spreu vom Weizen trennt. Was früher Schattenparker, Frauenversteher oder Warmduscher waren, sind jetzt die Rad-über-den-Hochablass-Schieber. Zeig mir, wie du das Wehr querst und ich sage dir, wer du bist! Wobei die Grenzen schon lange nicht mehr so klar gezogen werden können, wie Seethauer und Haderhofer das gerne hätten. Während manche Zweiradhooligans ihre sündteuren Gefährte behutsamst über den Steg bugsieren, versprengt schon mal eine Gruppe Rentner auf E-Bikes die erschreckten Spaziergänger. Man spürt deutlich, wie gern die gestressten Kinderwagenschieber den Vorbeirasenden ein gepfeffertes »Wir sind das (zahlende) Volk!« an die Ultralightweight-Helme werfen würden, aber diesem Verdun-Blick der Wirtschaftswunderveteranen kann man einfach nichts entgegensetzen ohne in Gefahr zu geraten, als Geriatriegegner den Stichlingen zum Fraß vorgeworfen zu werden.

Die Diskussion am Nebentisch flammte noch mal auf. Ein Kollege des Wirtschaftsexperten hatte sich dazugesellt. Etwas sportlicher, dafür mit weniger hinderlichen Kauwerkzeugen ausgestattet, traf sich beider Geschmack beim Weizen, der weißblauen Brustentwicklungshilfe für den bulimiegefährdeten Mann ab vierzig. Und natürlich bei Sabine. Es war rührend, wie aufmerksam die beiden Haudegen den Klagen der Kellnerin lauschten. Von Witterungsunbilden bis Trinkgeldbesteuerung und Schuhabriebsausgleichszahlungen, das Schicksal einer bundesdeutschen Bedienung erschien mittlerweile auch uns nur geringfügig erträglicher als das eines chinesischen Minenarbeiters.

Wir starrten auf unsere leeren Flaschen. Auf der Strandpromenade pflügten immer noch die gedemütigten Mountainbike-Cyborgs auf der Jagd nach den E-Bike-Pensionisten durch die bunte Mischung aus schwimmflügelbekleideten Kindern, Miniaturausgaben invasiver Hunderassen am Rande des Hitzschlags, türkischen Großfamilien und deren autochthonen Äquivalenten, die bisweilen an Trainingsgruppen der örtlichen Sumoringer-Vereinigung erinnerten. »Noch ein Helles zur Abwechslung?«, fragte mein Kumpel und stand auf. Ich nickte. »Aber Augsburger Bier, wenn’s hat. Think global, drink local!« Er nickte. »Scheiß Ebola!«, tönte es vom Nachbartisch, nun zweistimmig, gefolgt von einem ermunternden »Prost, auf dich, Sabine!« In den Pappförmchen mit den Pommesresten flatterten unsere ketchupverschmierten Servietten fernwehtrunken in der aufkommenden Kuhseeabendbrise. Sommer in Augsburg.