...und irgendjemand entdeckt in Brüssel oder Straßburg den vor sich hin verstaubenden Friedensnobelpreis: "Mensch, den hätten wir ja beinahe vergessen!"...
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Dienstag: Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der Eurozone, Mittwoch: Treffen der Finanzminister, Sonntag: Gipfel aller EU-Staats- und Regierungschefs... Nein, das ist nicht der Terminkalender der Europäischen Union in den vergangenen Wochen. Das war im Juli dieses Jahres, Griechenlandkrise. Sie erinnern sich? Da ging’s ums Geld, also das, was laut Angela Merkel Europa erst möglich macht, der Euro. Die Menschen in Europa, nun ja, die werden dem Geld schon folgen, sagt man sich vermutlich – und hat damit nicht ganz Unrecht. Blöderweise ist jetzt das Problem aufgetaucht, dass auch die Menschen aus Syrien, Afghanistan, Irak etc. dem Geld folgen, nur leider dem Geld, das den Flüchtlingslagern im Libanon, in Jordanien und der Türkei gestrichen wurde.
Was ich nicht verstehe: Wie konnte ganz Europa davon überrascht werden, dass sich hunderttausende Menschen auf den Weg machen? Dass mal ein Flugzeug überm Ozean verloren geht, ist schon kaum vorstellbar, aber eine Vielvölkerwanderung auf unserem bizarr präzise überwachten Kontinent?
Und wie lange wird es noch dauern, bis sich die Regierungschefs endlich dauerhaft zusammensetzen und die Flüchtlingskrise als das begreifen, was sie ist: die größte Herausforderung für Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Nachdem schon ganze Länder fast zusammengebrochen sind, Kommunen im Grenzland sowieso, geht das Dominospielchen jetzt reihum. Jeder darf mal fallen - und dann zu Schlagbaum und Wasserwerfer greifen, um den Menschenstrom zum Nachbarn zu lenken. Das ist ein dermaßen zynisches und unwürdiges Schauspiel! Zu befürchten ist sogar, dass man sich auf Obergrenzen einigen wird und damit nicht zuletzt dem Geschrei der Rechtsausleger nachgibt.
Nur zur Erinnerung: In Deutschland gab es bis zur Jahreshälfte 202 »Übergriffe« auf Flüchtlingsheime, also mehr als einen täglich. Eine Zahl, die für sich genommen schon ebenso skandalös wie erschreckend ist. Und jetzt raten Sie mal, wie viele dieser Attacken mit Brandsätzen und Steinen etc. bisher aufgeklärt worden sind: genau eine! Das war der Vollpfosten in Hannover, der selbst bei der Feuerwehr arbeitet. Und sonst? Nichts. Rien. Nada. Nothing. Staatsanwaltschaft und Polizei mauern und verweisen auf den Personalmangel. Anscheinend haben wir nur noch Beamte, um Fußballfans sicher zu den Arenen zu geleiten, für Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, körperliche Unversehrtheit oder Asylrecht bleibt da nicht mehr viel übrig. Mit den Lippenbekenntnissen nach solchen Anschlägen kann man mittlerweile längst Bücher füllen. Zum Beispiel Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff nach dem Vorfall in Tröglitz: »Alle zur Verfügung stehenden Ressourcen werden eingesetzt, um dieses gemeine Verbrechen aufzuklären.“ Bundesinnenminister Thomas de Maizière dazu: »Eine abscheuliche Tat, die unverzüglich aufgeklärt werden muss.«
Gegenfrage: Wenn es zweihundert linksextreme Attacken auf die Treffpunkte Sudetendeutscher gegeben hätte – meinen Sie, von den Angreifern würde auch nur einer noch frei rumlaufen? Hallo, Verfassungsschutz, jemand zu Hause? Ach, Entschuldigung, stimmt ja, Sie müssen die gewählten Bundestagsabgeordneten der Linkspartei überwachen, schon klar.
Das Schlimme an der aktuellen Situation ist nicht zuletzt, dass sie rein theoretisch auch eine Chance wäre für Europa: ein großer Finanztopf, ein internationaler Krisenstab, gemeinsames Auftreten in der UNO, länderübergreifende Zusammenarbeit, ein abgestimmtes Asylrecht, eine europäische Arbeitsvermittlung... Der Papst nimmt sich seine Christen in den Hauptstädten zur Brust, Bob Geldof lässt Live Aid wiederaufleben in Athen und Frontex sorgt für die Einhaltung der Menschenrechte an den EU-Grenzen. Und irgendjemand entdeckt in Brüssel oder Straßburg den vor sich hin verstaubenden Friedensnobelpreis: »Mensch, den hätten wir ja beinahe vergessen!« Stimmt, den haben wir wohl vergessen.