Wo ist die Muschel?

Verfasst am: 01.08.2014 | Autor: Florian Kapfer

Die Brunnen bröckeln, die Biber brüten und das Mittelalter wird kostenlos...

Augsburg ist sooo geil! Muss man doch mal sagen dürfen. Liegt sicherlich auch ein bisschen am Sommer, zumal man Skurrilitäten wie die nächtliche Taubenfütterung am Liliom in Person einer leicht irre blickenden, nicht mehr ganz jungen Dame, die tütenweise das Zeug ins Wiesenkarree schüttet und auf Nachfrage leise »If looks could kill« summt, eher selten im Winter erlebt. Nur ein paar Stunden vorher hatte ein Fotograf seine komplette Ausstattung am Stadtgraben aufgebaut, um in Begleitung zweier Passanten Augsburgs neuester Freizeitaktivität zu frönen: dem Biberwatching. Der gefürchtete Baummörder saß derweil friedlich kauend auf einer Grasfläche wenige Meter entfernt. Der beste Platz für Hobby-Grzimeks ist allerdings, vom Lueg-ins-Land kommend, der Tümpel am Fuß der bröckelnden Bastion, wo sich Papa Biber wohl zu fühlen scheint wie Crocodile Dundee im Outback. Eine Touristin war von dem Anblick so perplex, dass sie prompt in das alte Kinderlied vom »Bi-Ba-Butzemann« verfiel, inhaltlich nicht ganz korrekt, aber lautmalerisch erste Sahne.

Den Augsburger Friedenspreis indes hätte spätestens seit dem WM-Finale die deutsche Fußballnationalmannschaft verdient: Dass es auf der Maxstraße bei 20.000 Betrunkenen, von denen auch noch etliche die Herkulesbesteigung in bis zu acht Meter Höhe problemlos absolvierten, lediglich zu einer Schnittverletzung an der Ferse und zwei kleineren Pöbeleien kommt, ist absolut rekordverdächtig - warum geht das eigentlich an einem normalen Wochenende nicht?

Da ist so ein bisschen Schwund wie die beiden Bronzestücke des Herkulesbrunnens fast schon zu verschmerzen. Wobei der Arm des Meeresgottes bereits wieder aufgetaucht ist (eigentlich auch ein schönes Bild), nur die Muschel fehlt noch. Der göttliche Körperteil wurde wenige Tage später im Schaezlerpalais abgegeben - und zwar nicht anonym in der Antiquitätenklappe, sondern von zwei Studenten, die das gute Stück angeblich noch in der Nacht am Brunnen in Sicherheit gebracht haben. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie gut sich die Trophäe auf dem Frühstückstisch in der WG gemacht hat. Klar ist auch, dass Freie-Wähler-Stadtrat Volker Schafitel wenig verschleiert den Kopf des Ordnungsreferenten für den Arm des Meeresgottes fordert. Hat der OB aber gleich abgelehnt. Lernen von Herodes, sag ich da nur!

Doch zurück zu den ernsten Seiten des Lebens in der Stadt der Renaissance. Die Posse um das mittelalterliche Bratwurstfressen und Metsaufen mit Böllerschießen und Pickerlverkauf am Wertachbrucker Tor hätte Arno Löb nicht besser hinbekommen. Nachdem Thorbräuwirt Max Kuhnle nicht mehr mitfeiern darf, besteht er natürlich auf ungehinderten Zugang zu seiner Gastronomieenklave mit dem bezeichnenden Namen »Freibank« im Augsburger Gaza-Streifen am Bourges-Platz. Und wie Ägyptens Präsident as-Sisi scheiterte selbst der beste OB von allen mit seinem Vermittlungsversuch, die Feuerpause wurde von der hiesigen Ortsgruppe der Hammaß (Hamma-Böller-hamma-Spaß) empört abgelehnt. Nun könnte man die Freibank locker zehn Tage lang durch Tunnel mit Bier und Gästen versorgen, aber wer in Augsburg gräbt, bekommt es bekanntlich schneller mit dem Denkmalschutz zu tun als er »Wanderer, kommst du mit Spaten« sagen kann.

Das Ergebnis dieser etwas verworrenen, aber ungemein unterhaltsamen Geschichte: Die Augsburger Mittelalterfans bekommen nun vermutlich ein kostenloses Fest, für das die Stadt, also alle Augsburger, mit 20.000 Gulden, pardon, Euro bürgen soll. Also exakt die Zahl der Feiernden auf der Maxstraße nach dem WM-Finale! Hätte man von den frischgebackenen Weltmeisterchen je einen Euro kassiert, wäre die Historiensause gerettet. Die euphorisierten Jogi-Jünger hätten ihre Obolus ja nur, wie in anderen Länder auch, in den Brunnen schmeißen müssen, dann wäre bestimmt auch noch die Muschel drin gewesen!

Hach, dass einem solche Ideen immer erst im Nachhinein kommen. Bleibt zu hoffen, dass der neue Ordnungsreferent, wenn er über Verteidigungsmaßnahmen gegen zukünftige Brunnenstürmer nachdenkt, auch die Einnahmenseite im Blick hat. Doch höchstwahrscheinlich werden sie einfach einen der letzten freien Brunnen der Möchtegernwasserweltkulturerbestadt humorlos einkasteln. Und alle im Stadtrat so: »Wir waschen unsere Arme in Muscheln!« Wie gesagt: Augsburg ist sooo geil!

Foto: Fabian Schreyer