Ich werde das Gefühl nicht los, die meisten Menschen sind zu reinen Wortausscheidungsmaschinen mutiert...
Vorsicht, warmer Glühwein!
Letztens in einem Augsburger Restaurant ein schönes Schild entdeckt: »Ab jetzt: Warmer Glühwein«. Geil, oder? Man fragt sich unwillkürlich, was es vorher gab, kalten Glühwein? Warmes Bier? Und vor allem fragt man sich: Hat derjenige, der das geschrieben hat, es danach noch einmal gelesen?
Ich werde das Gefühl nicht los, die meisten Menschen sind zu reinen Wortausscheidungsmaschinen mutiert, die nur aufhören zu reden, wenn das Handtelefon Neues aus der Echokammer meldet, um dann noch vor Erreichen des ersten Kommas sofort darauf zu antworten. Bei all dem Gequassel kann man sich logischerweise nur durch Extreme hervorheben, entweder inhaltlicher oder formaler Natur, meistens beides. Selbst im Radio ist das Verfolgen von Sportberichterstattungen unmöglich geworden, das Geschrei der »Reporter« erträgst du als normaler Mensch einfach nicht mehr. Dass jemand aus Interesse ein Fußballspiel verfolgen könnte und nicht, um sich für das direkt nach der Sendung anstehende Hooligantreffen in den Westlichen Wäldern zu stimulieren, kommt denen wohl nicht in den Sinn.
In den meisten Köpfen scheint ein Grundrauschen zu herrschen, gegen das die Niagarafälle ein Zimmerbrunnen mit destilliertem Wasser sind. Dieser gesellschaftliche Tinnitus beschränkt sich beileibe nicht aufs Stadion oder Montagsdemos und Weihnachten ist der Gipfel der sinnfreien Extrovertiertheit: Je leerer es drinnen ist, desto mehr muss man raushängen.
Das hat sich vermutlich auch die deutsche Autoindustrie gedacht, die seit Jahren lächerliche 40 Prozent mehr Schadstoffe raushaut als angegeben. So was hat natürlich Folgen: VW kürzt zehntausende Stellen und stellt in der Abteilung E-Mobilität fünfeinhalb Lehrlinge ein - wenn es dafür Geld gibt von der Bundesregierung. Pardon, wenn es dafür genug Geld gibt von der Bundesregierung.
Versuchen Sie mal, jahrelang mit einer Grundgeschwindigkeit von mehr als 40 Prozent über dem Erlaubten unterwegs zu sein! Sie würden ihren Führerschein in drei Leben nicht wiedersehen! Lustig, oder? Im Autoparadies Deutschland hat nicht mal mehr der autofahrende Wähler eine Lobby. Sondern nur noch die Autoindustrie.
Industrie. Hach. Tolles Wort. Da stehen Politiker drauf. Da kann man noch so oft verkünden, wie wichtig der Mittelstand in Deutschland ist. Scheiß drauf. BASF! Bayer! Daimler! Mann, wie gern hätten wir so coolen, voll modernen Scheiß wie Google oder Apple! Immerhin: Dank Monsanto kann Bayer nun mit den Bauern umspringen wie Microsoft mit seinen »Kunden«. Die müssen auch alle Jahre wieder blechen, weil Bill Gates von Fliesen auf Kacheln umstellt und dabei ständig vergisst, die Virusklappe zu schließen, das Dummerchen.
Kein Wunder, dass sich die Leute verarscht fühlen. Letztens war Ursula von der Leyen im Morgeninterview im Deutschlandfunk. Und selbst ohne die Verteidigungsministerin zu sehen, war deutlich zu spüren, dass die gar nicht mehr mitdenken muss, wenn sie redet, ihr Mund macht das von alleine, während sie vermutlich ein Selektoren-Sudoku löst oder Zeitung liest.
Vielleicht liest sie sogar die Augsburger Allgemeine, die ist letztens mit dem Europäischen Zeitungspreis ausgezeichnet worden. Schade nur, dass die Juroren die AZ-Berichterstattung über die Ermittlungen gegen den Augsburger SPD-Landtagsabgeordneten Linus Förster nicht mehr mitbekommen haben. Nachdem die heimische Einmann-Internetzeitung DAZ in der Sache schneller gewesen war, feuerte der Pressetanker tagelang aus allen Rohren. In einem Artikel standen ungelogen fünf Zeilen darüber, dass der angewandte »Spannerparagraph« auch bei »Nacktaufnahmen von Kindern und Jugendlichen« gilt – um dann lapidar zu enden: »Der Fall Förster hat allerdings nichts mit Kinderpornografie zu tun.«
Den Artikel habe ich zufällig beim Zahnarzt gelesen, der mir kurz danach erklärte, es gäbe Leute, die mit 90 Jahren noch kein einziges Loch haben, obwohl sie nie Zähne geputzt und sich nur von Schokolade ernährt haben. Dann fügte er an: »Das hat allerdings nichts mit Ihnen zu tun, Herr Kapfer. Und jetzt: Schön weit auf!«
Versteht sich von selbst, dass ich danach einen Glühwein nötig hatte. Und der war so dermaßen heiß! Und das ohne Warnhinweis! Da stand nicht mal »Vorsicht, warmer Glühwein«. Die Sau verklag ich!