„Du bist doch die vom Ostwerk!”

Eine Reise in die Vergangenheit mit Sandy Hönig

Sandy, kannst du dich eigentlich noch an unsere erste Begegnung erinnern?
Klar! Das war beim Neue Szene-Fußball-Cup 1991. Das Ostwerk-Team hat gewonnen und dabei auch die Mannschaft der Neuen Szene vernichtend geschlagen. Anschließend waren wir zur Siegesfeier im heutigen Parkhäusl-Biergarten im Siebentischwald. Ich war damals schwer beeindruckt von den niedrigen Preisen in Augsburg.

Die Niederlage habe ich verdrängt, aber ich kann mich noch gut erinnern, als plötzlich ein grinsender Twen vor mir stand und sich als die neue Ostwerk-Chefin vorstellte. Eine Diskothekenbesitzerin mit Anfang 20, wie kam es denn dazu?
Ich habe damals neben der Theaterfabrik in Unterföhring gewohnt und war natürlich oft zu Gast, später habe ich dort gejobbt. Unter der Woche gab es Konzerte und Kabarett, am Wochenende Disco. Besonders cool fand ich die „Bhagwan Disco Orange“ . Außerdem war mein Onkel damals am Nachtwerk beteiligt und so lag ein Praktikum dort natürlich nahe. Spätestens da reifte der Entschluss, eines Tages selber einen Club machen zu wollen.

Das Ostwerk gehörte damals zum Teil den Betreibern des Nachtwerks.
Stimmt. Zu dieser Zeit lief der Laden aber eher schleppend und der Sommer stand auch noch vor der Tür. Trübe Aussichten also. Ich habe dann das Ostwerk für sechs Monate gepachtet und diese sechs Monate haben mein Leben grundlegend verändert.

Was war passiert?
Unsere Partys in dieser Zeit waren echte Volltreffer und so kam alles ins Rollen.

Was habt ihr denn für Höllendinger veranstaltet?
In München waren damals 70er Partys und Schlager der absolute Renner. Wir haben einfach die Ideen geklaut, anfangs auch mit den Nachtwerk-DJs und alles nach Augsburg verfrachtet. Ich wurde zur Geschäftsführerin befördert und habe nach und nach die Anteile erworben, bis der Laden letztendlich meinem Vater und mir gehörte.

Ist dir anfangs als Clubchefin nicht der Angstschweiß den Rücken runtergelaufen?
Nein, überhaupt nicht, ich bin mit einer jugendlichen Unbekümmertheit in diese Geschichte gegangen. Das mit dem Angstschweiß kam erst später.

Wie hat sich Augsburg für dich als Münchner Kindl in den ersten Jahren angefühlt?
Eigentlich kannte ich nur die Fuggerei, die Rockfabrik und das Odeon, wenn ich ehrlich bin. In den ersten Jahren bin ich immer an den Wochenenden gependelt, aber mit der Zeit lernt man zwangsläufig Land und Leute kennen. So bin step by step immer mehr in die Stadt eingetaucht. Meine erste WG hatte ich in Göggingen mit DJ Enne und später mit Marc Vogele, der damals bei Radio Fantasy war.

Inwieweit hat sich dein Augsburgbild in den letzten drei Jahrzehnten verändert?
Augsburg ist meine zweite Heimat geworden, hier habe ich meinen Mann kennengelernt und inzwischen bin ich schon fast mein halbes Leben hier.

Du hast als Clubbetreiberin die goldenen 90er und Nullerjahre erlebt. Was war das für ein Anblick, wenn du von deinem Büro aus die endlosen Schlagen vor der Halle gesehen hast?
Am meisten habe ich den Blick von der DJ-Kanzel auf das feiernde Partyvolk genossen. Es war eine sehr schöne und erfüllende Zeit, wir hatten viel Spaß, aber es war auch immer ein hartes Stück Arbeit. Wenn ich mir heute ansehe, wie sich das Ausgehverhalten verändert hat, dann war das schon eine gute Zeit. Damals gab es halt noch kein Facebook oder Instagram, wenn man Leute treffen oder sich verlieben wollte, musste man also zwangsläufig ausgehen. Heute klickt man eben.

Ihr habt damals mit „Nimm 5“ die 1-Mark-Partys weiterentwickelt.
Das hat wirklich wie eine Bombe eingeschlagen. Aber ich sag nur „die Geister, die ich rief” ... Der Laden war immer voll, aber leider ging es nur noch um billige Preise und nicht mehr um das Programm, die Musik geriet immer mehr zur Nebensache. Das empfand ich als unbefriedigend, deshalb haben wir begonnen, Konzerte zu veranstalten und so einen Gegenpol zu schaffen.

Im Ostwerk haben sogar legendäre Konzerte stattgefunden. Um nur mal einige Namen zu nennen: Die Ärzte, Fanta 4, Peter Fox, Deichkind, SF Stiller, Selig, Flaming Lips oder Tocotronic. Außerdem fanden über ein Jahrzehnt lang die Finals von „Band des Jahres” bei euch statt.
Die Konzerte waren mein absolutes Herzensding, auch wenn das alles oft sehr arbeitsaufwendig war. Dafür haben wir dann aber auch viele wirklich großartige Abende erlebt. Es war toll, da hinter die Kulissen zu blicken, man bekommt sehr viel vom Alltag dieser erfolgreichen Bands mit. Und wir sind nach Konzertschluss oft noch lange mit den Künstlern zusammengesessen und haben gefeiert. Wenn ich heute in unser Gästebuch blicke, wird mir immer noch ganz warm ums Herz.

Du hast das Ostwerk 21 lange Jahre erfolgreich durch die stürmische Clubszene manövriert. Wenn ich dich charakterisieren müsste, würde ich sagen: Eine Geschäftsfrau mit großem Idealismus.
Danke, das gefällt mir! Aber nur so funktioniert das letztendlich auch. Man muss bei dem, was man macht, mit dem Herzen dabei sein und darf nicht immer nur kühl kalkulieren. So etwas spüren die Leute, dadurch wird man dann letztendlich auch glaubwürdig.

Apropos: Du bist in die Geschichte der Neuen Szene eingegangen, weil du in all den Jahren in jeder - also wirklich in jeder - Ausgabe, eine Anzeige geschalten hast.
Und jeden September immer noch die Titelseite obendrauf. Ich war wirklich Fan der ersten Stunde und bin es heute noch, ohne euch jetzt Honig ums Maul schmieren zu wollen.

Dafür bekommst du ja auch bis an dein Lebensende ein Gratisabo. Leider war 2012 nach über zwei Jahrzehnten für dich Schluss mit dem Ostwerk. Was hat damals den Ausschlag gegeben?
Das Alter hat natürlich eine Rolle gespielt. Irgendwann ist es auch nicht mehr so erfüllend, wenn man die einzige ist, die älter wird. Unsere Gäste sind ja immer jung geblieben. Und mir fiel es mit der Zeit immer schwerer, zu später Stunde von der Couch aufzustehen und ins Ostwerk zu fahren. Und irgendwann hatte ich auch Angst, dass alles nicht mehr laufen könnte. Man verliert ja im Alter doch schon mal den Anschluss an bestimmte Trends und Strömungen.

Was ist nach so vielen Jahren geblieben?
Sehr viele schöne Erinnerungen, wir waren ein tolles Team und hatten viele tolle Gäste. Es bleiben Freundschaften, die bis heute anhalten. Ich gehe tatsächlich heute noch zwei, drei Mal im Jahr ins Ostwerk und wenn ich dort bin, dann fühlt es sich an, als wäre ich nie weg gewesen. Es arbeiten ja immer noch Leute von damals dort. Das ist immer eine schöne Reise in die Vergangenheit.

Wirst du heute noch auf das Ostwerk angesprochen?
Ich bin immer wieder erstaunt, wie oft ich erkannt werde. Erst vor einigen Tagen wieder in einem Radgeschäft: „Du bist doch die vom Ostwerk!” (lacht)

Corona hat die Clublandschaft heute weitgehendst lahmgelegt.
Das ist ein echtes Horrorszenario! Man steht von heute auf morgen vor einer völlig neuen Situation, auf die man sich nicht einstellen konnte. Das ist ganz schlimm und ich bin richtig froh, dass ich da nicht mehr mit drin stecke. Denn leider ist bisher ja auch kein Silberstreif am Horizont zu sehen.

Gibt es eine lustige Ostwerk-Anekdote?
Sehr viele, spontan fällt mir jetzt aber keine ein.

Mir aber. Ihr hattet einen Mitarbeiter, der in der Erotikbranche Karriere gemacht hat. Erst als Darsteller, später als Produzent. Stimmt die Story, dass ein Kollege zufällig eine DVD entdeckt hat und der Streifen dann auf Großbildleinwand im Ostwerk lief?
Ich habe davon gehört, aber ich war die letzte, die davon erfuhr. Ich hatte mich damals schon immer gewundert, dass sich die Türsteher am Funkgerät plötzlich immer mit „Wildes Biest 1 an Wildes Biest 2, bitte kommen!” gemeldet haben. Ich habe die Filme aber bis heute noch nicht gesehen.

Was machst du denn heute beruflich?
Ich bin zweifache Mutter und in der Immobilienbranche tätig. Das ist natürlich etwas ganz anderes und meine Welt spielt sich heute tagsüber ab!

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