Hagen im Harz

Das eigentlich Deprimierende an einem Großteil der aktuellen Tatort-Folgen ist, dass sie keinerlei Herausforderungen stellen, weder an den Zuschauer noch an die Darsteller bzw. Figuren. So auch beim gestrigen Fall, der die Hamburger Ermittler nach Salzgitter ins Harzvorland führte, wo Sheriff "Hagen" sein übles Spiel treibt.

Eigentlich hätte es ja eine interessante Kiste werden können, immerhin hatte man sich den Justiz- bzw. Polizeiskandal um den Tod des Asylbewerbers Ouri Jalloh 2005 in Dessau vorgenommen. Doch schnell war klar, dass außer Klischees kaum was geboten werden wird und ausgefeilte Charaktere sowieso nicht: Das Ganze endet damit, dass hinter dem Mord ein durchgeknallter, rechtsradikaler Dienststellenleiter steckt, der sich noch dazu nach dem Bösewicht der Nibelungen Hagen nennt (vermutlich erklärt uns die ARD in ein paar Jahren die NSU-Morde als ostdeutsche Version von "Natural Born Killers" mit drei Outlaws auf Badesalz).

Damit die Story überhaupt in Gang bzw. vorankommt, muss im Normalfall Bruder Zufall Schwerstarbeit leisten. Immerhin hier gab es Abwechslung diesmal: Die komplette Geschichte beruhte auf fatalen Fehlern und Aussetzern der Beamten. Erst die Verwechslung der Zielperson, die dann von Kriminalhauptkommissar Falke verprügelt wird, später geht eine wichtige Zeugin vor ihrer Vernehmung in der Polizeidienststelle duschen (!), was natürlich ihr missratener Kollege nutzt, um sie einzuschüchtern. Und schließlich der Gipfel der Unglaubwürdigkeit: Der Hauptverdächtige wird vor seiner Festnahme von Falke aufgefordert, seine Jacke zu holen (warum nicht gleich eine Waffe?)! Dass sich der Täter bei der Gelegenheit in aller Seelenruhe erschießt, verwundert niemanden mehr.

Spannung, überraschende Wendungen, unklare Sachlagen und Figuren, die nicht nur Abziehbildchen sind, wie immer kaum vorhanden. Abgesehen von ein paar müden Gags wie "Black Magic Woman" auf der Grillparty der Chauvi-Clique oder die Dorfkneipe, die jetzt "Platon" heißt, gibt's nur das übliche Moralgeplänkel, angeschlagene Polizisten am Rande der Dienstunfähigkeit und Bilder aus Deutschlands Vorgärten, die alle schon aussehen, als würden hier bereits die Gartenzwerge den Hitlergruß zeigen. Fazit: In der Provinz sind eigentlich alle Nazis, sogar die Türken, und es braucht nur immer einen Hagen, der ihnen dann zeigt, wie's geht. Und zum Schluss singt Jeff Buckley einen Song für uns Gutmenschen: "Strange Fruit" von Billie Holiday - und "Die Zeit" findet's super. (flo)

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