Bundestagswahl 2025: So hat Augsburg gewählt
Verfasst von Neue Szene am 24.02.2025
Politisches Interesse in der Stadt hat zugenommen
Aus aktuellem Anlass haben wir aus unserem Archiv ein Interview aus dem Jahr 2021 herausgekramt
Am 26. September 2021 sind 60,4 Millionen Stimmberechtigte zur Wahl des 20. Bundestags unserer Republik aufgerufen. Es wird nicht nur eine neue Kanzlerin oder ein neuer Kanzler gewählt, sondern auch rund 700 Bundestagsabgeordnete, welche die insgesamt 299 deutschen Wahlkreise für die kommenden vier Jahre in Berlin vertreten werden. Wir haben die beiden aussichtsreichsten Kandidat*innen des Wahlkreises Augsburg, Claudia Roth (Bündnis 90/ Die Grünen) und Dr. Volker Ullrich (CSU), in unsere Redaktion eingeladen.
Von Markus Krapf
Vielen Dank, dass ihr unserer Einladung zu einem Doppelinterview gefolgt seid. Das ist nicht selbstverständlich, wie ist denn eigentlich euer Verhältnis?
Roth: Gut, wie es sich unter Demokrat*innen gehört, und auch voller Anerkennung. Der Umgang miteinander hat sich glücklicherweise bei einigen von uns durch den Einzug von Anti-Demokrat*innen in den Bundestag zum Positiven verändert. Das Gemeinsame von Demokrat*innen unterschiedlicher Parteien steht seitdem viel deutlicher im Vordergrund. Darüber hinaus schätze ich Herrn Ullrich sehr.
Ullrich: Das kann ich nur bestätigen. Mein Verhältnis zu Claudia Roth ist von hohem Respekt und Wertschätzung geprägt. Wir sind Demokraten, die sich austauschen und auch hart in der Sache streiten, die aber immer der Einsatz für ein freiheitliches, demokratisches Gemeinwesen und dessen Werte eint. Ich schätze darüber hinaus aber auch die sehr verbindliche, freundliche und bisweilen auch kurzweilige Sitzungsleitung der Vizepräsidentin Claudia Roth im Deutschen Bundestag.
Früher undenkbar, eine Grüne und ein Schwarzer zusammen beim politischen Kaffeekränzchen. Volker, was hätte Franz Josef Strauß dazu gesagt?
Ullrich: Ich wäre natürlich auch dann auf einen Bienenstich gekommen, wenn Strauß etwas dagegen gehabt hätte. Mein Ansinnen ist es nämlich nicht, immer nur der Parteiführung zu gefallen, man muss schon auch seinen eigenen Kopf haben. Dessen ungeachtet war Strauß zu seiner Zeit ein hochmoderner Politiker, der durchaus mitgegangen ist, wenn Bewegung in die Ansichten der Bevölkerung kam. Für ihn war es selbstverständlich, dass man sich dann auch im politischen Diskurs anders aufzustellen hat.
Roth: Ich bin ja nun schon sehr lange dabei und kann mich noch gut daran erinnern, dass für Strauß der Einzug der Grünen in den bayerischen Landtag definitiv ein Irrtum der Geschichte war. Er hielt dies für ein Problem der SPD und beauftragte quasi den Sozialdemokraten Karl-Heinz Hiersemann, sich dessen anzunehmen und dafür zu sorgen, dass die Grünen nach fünf Jahren gefälligst wieder verschwunden sein sollten. Wir sind aber gekommen, um zu bleiben, und waren dann schon, übrigens auch gegenseitig, über Jahrzehnte gepflegte Feindbilder. Aber aus den Feindbildern von damals sind gegnerische, demokratische und streitbare Parteien geworden. Das Verhältnis hat sich verändert und das tut einer Demokratie wirklich gut.
Der Wandel der Zeit hat es auch ermöglicht, dass ihr Bundestagsabgeordnete einer Stadt seid, die seit 18 Monaten von einer schwarz-grünen Koalition regiert wird. Wie machen das die Kolleg*innen um Eva Weber und Martina Wild?
Ullrich: Ich finde, dass Augsburg gut regiert wird. Die Koalition zwischen CSU und Grünen war richtig und konsequent, wir haben zusammen einen sehr modernen und zukunftsgewandten Koalitionsvertrag ausgehandelt. Es ist klar, dass es in einer Koalition Kompromisse geben muss, es kann nicht nur CSU oder Die Grünen sein. Die CSU hat mit der Oberbürgermeisterin Eva Weber und der Stadtratsmehrheit die politische Führungsrolle in dieser Koalition und war in einigen Punkten als Partei der Vernunft auch ein Korrektiv, wie beispielsweise bei deren Forderung nach einer autofreien Innenstadt. Aber wir gestalten nicht allein, sondern mit dem Koalitionspartner und es gibt auch einige gute und neue Akzente. Eine Stadt muss sich wandeln, um attraktiv zu bleiben, die Herausforderungen von heute sind groß und die können wir nur gemeinsam lösen. Darüber hinaus finde ich es bemerkenswert, dass Augsburg eine weibliche Doppelspitze hat, das dürfte in einer deutschen Großstadt einmalig sein. Jetzt geht es darum, nach Corona in Augsburg mit vielen Themen wie Arbeitsplätze, wirtschaftliche Erholung, neue Mobilität, bezahlbares Wohnen und Klimaschutz durchzustarten.
Fühlst auch du dich gut regiert, Claudia?
Roth: Absolut. Die Partei der Vernunft regiert zusammen mit der Partei der Zukunftsverantwortung, und das tut Augsburg gut. In einer Kommune ist das sowieso immer noch etwas anderes, weil es um unmittelbare Bedürfnisse und Probleme der Menschen vor Ort geht. Aber es geht auch um Form und Inhalt, wie so eine Regierung zusammenarbeitet. Und mit beidem bin ich insgesamt sehr zufrieden. Die Form des Umgangs miteinander hier in Augsburg kann auch ein Modell für andere Städte sein, denn Konflikte werden nicht draußen ausgetragen. Es gibt offenbar ein großes Vertrauen untereinander, weil beide Seiten vertragstreu sind. Natürlich geht es in vielen Punkten heftig zur Sache, aber das löst man nicht, indem man den anderen an den Pranger stellt. Man klärt alles direkt miteinander und ich finde es richtig gut, dass mit Eva Weber und Martina Wild zwei Frauen auf diese Weise zusammenarbeiten, um Augsburg nach vorne zu bringen. Ich habe auch den Eindruck, dass die eine Seite der anderen ihre Erfolge nicht neidet, was ebenfalls ein gutes Beispiel für politische Kultur im Miteinander ist. Manchmal würde ich mir allerdings eine Opposition wünschen, die sich lieber mal daran erinnert, was sie getan hat, als sie selber in der Regierungsverantwortung war, anstatt jetzt lautstark Positionen zu vertreten, die völlig konträr zu denen sind, als die SPD noch mitregiert hat.
Die schwarz grüne Konstellation könnte auch die Koalitionsvariante innerhalb der neuen Bundesregierung sein. Wäre das deine Traumkoalition, Claudia?
Roth: Ich wünsche mir natürlich, dass die Grünen eine Führungskraft in der neuen Regierung sein werden und sage es mal mit Bert Brecht: „Ändere die Welt, sie braucht es.“ Veränderung ist die Voraussetzung, um eine gute Zukunft gestalten zu können, nicht etwa eine Bedrohung. Wir brauchen also eine Veränderungskoalition und kämpfen nach wie vor darum, die Spitze dieser Koalition zu sein. Ich wünsche mir eine Klimakoalition, eine Koalition, die die Verfassung achtet, und ich wünsche mir eine Koalition, welche die durch die Pandemie massiv verschärften Spaltungen innerhalb der Gesellschaft angeht und überwindet. Es geht hier nicht um eine Liebesgeschichte, aber demokratische Parteien müssen angesichts der großen Herausforderungen, auch der Herausforderung, dass Demokratie nicht immun ist, miteinander kooperationsfähig sein.
Welche Farben hat die ideale Koalition?
Roth: Grün plus ...
Gibt’s da von dir eine klarere Aussage, Volker?
Ullrich: Wir kämpfen natürlich dafür, dass die Union stärkste Kraft wird, weil wir auf der einen Seite Stabilität und Vernunft in diesen nicht leichten Zeiten brauchen, weil wir aber auch um notwendige Veränderungen in diesem Land wissen. Genau die wollen wir dann mit einem oder zwei möglichen Koalitionspartnern nach der Wahl angehen. Hier eine Farbenlehre zu exerzieren, wäre falsch. Zum einen würde dies mangelnden Respekt vor dem Wählerwillen ausdrücken, zum anderen kommt es doch auf die konkreten Inhalte an, die man dann in einem Koalitionsvertrag vereinbart. Man darf auch eines nicht vergessen, beinahe jede erdenkliche Farbe ist ja bereits auf Landesebene seit mehreren Jahren und teilweise auch in erfolgreichen Koalitionen in der Regierungsverantwortung. Ich wünsche mir aber vor allem, dass es dieses Mal schneller geht als nach der letzten Wahl. Damals kam die Regierung dank der FDP und auch dank der SPD erst ein halbes Jahr später ins Amt.
Dass immer noch so viele Konstellationen möglich sind, liegt auch an den beiden Kanzlerkandidat*innen eurer Parteien. Sind die beiden bisher die wichtigsten Wahlkämpfer*innen für Olaf Scholz und die SPD?
Ullrich: Ich finde die Frage schwierig formuliert. Es wird in der Öffentlichkeit zunehmend der Eindruck erweckt, als ginge es bei der Bundestagswahl um eine Art Präsidentschaftswahlkampf mit den drei Kanzlerkandidaten im Mittelpunkt. Das halte ich aber für ziemlich verkürzt, denn wir wählen das Verfassungsorgan Deutscher Bundestag, der sich in Koalitionen zur Regierungsbildung zusammenfinden muss und dann einen Kanzler oder eine Kanzlerin wählt. Der Bundestag hat dann aber auch jederzeit die Möglichkeit, diesen Kanzler auszutauschen. Entscheidend ist also die Erringung von Parlamentsmehrheiten. Unser Kandidat Armin Laschet ist nach den Umfragen Stand jetzt Ende August unter Wert geschlagen, denn er hat es in seinem Bundesland NRW unter schwierigen Verhältnissen geschafft, eine Regierung zu bilden und in der Union die unterschiedlichen Flügel integriert. Er hat einen klaren europäischen Auftrag und das Bewusstsein, das, was in unserem Land gut gelaufen ist, stabil weiterzuführen und zu modernisieren.
War es die richtige Entscheidung ihn und nicht Söder zu nominieren?
Ullrich: Dass die CSU den eigenen Vorsitzenden präferiert hätte, ist kein Geheimnis. Klar ist aber auch, die Wahl der CSU bedeutet, dass wir eine starke Vertretung Bayerns in Berlin haben werden und unser Parteichef Markus Söder dann in Koalitionsrunden auch eine starke Rolle spielen wird. Die CSU hat eine besondere Rolle, nämlich auch auf Bundesebene anzuschieben und in vielen Punkten moderner als die CDU zu sein.
Wie zufrieden bist du mit Annalena Baerbock?
Roth: Wir haben mit Annalena Baerbock die absolut richtige Wahl getroffen, auch wenn zuletzt Fehler passiert sind. Sie hat Mut, Herz und Haltung, kennt sich unfassbar gut mit Inhalten aus und sie kennt auch die Partei unglaublich gut. Die Grünen sind in diesem Wahlkampf so geschlossen, wie ich es zuvor noch nie erlebt habe. An Annalenas Seite steht Robert Habeck, die beiden sind ein Topteam, dazu haben wir bärenstarke Landeslisten und drei weitere Vorteile: Wir haben doppelt so viele Mitglieder wie bei der letzten Bundestagswahl, wir haben ein mega Programm, dem eine intensive Debatte mit 3.300 Änderungsanträgen zum Entwurf vorausgegangen ist. Dieses Programm ist in der Partei verankert und es steht so viel wichtiges drin, was wir verändern wollen. Drittens haben wir sehr viele Bündnispartner. Bei uns gehören die Spitzen zur Partei, sind nicht alleinstehend und einziges Aushängeschild, wie bei Herrn Scholz. Ich möchte es der SPD auch nicht durchgehen lassen, dass ihre Zustimmungswerte durch Nichtstun und Stillstand wachsen. Darum muss jetzt die Auseinandersetzung mit den anderen Parteien um die Inhalte viel stärker passieren und ich glaube, dass noch sehr viel drin ist in diesem Wahlkampf. Zumindest kann ich mich an keine Bundestagswahl erinnern, bei der drei Parteien so nah beieinander lagen wie jetzt. Unsere Werte liegen aktuell übrigens mehr als doppelt so hoch wie bei der Bundestagswahl im Jahr 2017.
Claudia, sollten Die Grünen Teil der neuen Bundesregierung werden, wärst du bereit für ein Ministerium?
Roth: Diese Frage stelle ich mir jetzt definitiv nicht. Ich stehe seit 2013 im Präsidium des Bundestags in einer Funktion, die mich extrem ausfüllt. Damals haben mich viele gefragt, ob ich mich jetzt ins „Austragsstüble“ zurückziehe, als wäre das Amt im Präsidium des Bundestags, in der Herzkammer der Demokratie, keine wichtige Funktion. Nach 13 Jahren Parteivorsitz war meine Wahl zur Vizepräsidentin erst einmal ein Vertrauensvorschuss auch der Kolleg*innen anderer Fraktionen. Seit 2017 hat sich dann mit dem Einzug der AfD in den Bundestag und durch die Pandemie alles noch einmal komplett verändert. Zu erleben, wie wichtig unsere Demokratie ist, und den Bundestag entgegen dem Heißhunger der Exekutive zu setzen. Oder wie wichtig es ist, in Pandemiezeiten einen handlungsfähigen Bundestag ohne Notparlamente zu haben. Zu sehen, wie wichtig es ist, mit den Demokratie- und Verfassungsfeinden im Parlament umzugehen und ihnen zu zeigen, wie stark unsere Demokratie ist und was ihre Basis und ihr Kern sind. Insofern stelle ich mir jetzt nicht die Frage, was wäre wenn, sondern ich kämpfe erst einmal mit aller Kraft dafür, dass die Grünen möglichst gut abschneiden, und dann schauen wir mal.
Volker, du bist einer der eifrigsten Redner im Bundestag, was man in Augsburg mit großer Anerkennung zu würdigen weiß. Wo siehst du dich in der Hierarchie deiner Koalition?
Ullrich: Man würde tatsächlich nicht 168 Mal von seiner Fraktion als Redner im Bundestag benannt, wenn man kein Ansehen und kein Standing hätte. Diese Plenarpräsenz hängt übrigens auch mit meinen vielfältigen Funktionen innerhalb der Fraktion zusammen. Der Umstand, viel Redezeit zu bekommen ist also eine Würdigung meiner Arbeit und meiner Person in der Fraktion. Man weiß, dass es mir in meinen Reden immer darum geht, im besten Sinne eines Demokraten konstruktiv zu sein und Lösungen aufzuzeigen, ohne dabei andere herabzuwürdigen und polemisch zu sein. Wichtig ist mir dabei immer, mich deutlich von den Verfassungsfeinden abzugrenzen und es gab zahlreiche Reden, in denen ich aufgezeigt habe, an welche geistige und politische Traditionen die AfD wirklich anknüpfen möchte. Ich bin also überzeugt davon, innerhalb des Bundestags eine starke Rolle zu haben und viel bewegen zu können.
Hast du konkrete politische Ziele?
Ullrich: Ich habe einmal vor vielen Jahren in einem Interview mit einem Augsburger Magazin, ich glaube es war die Neue Szene (lacht), gesagt: Ich verderbe mir den Tag nicht mit Karriereplänen. Ich stehe in der Verantwortung, in die ich geschickt worden bin und mache meine Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen. Das Gleiche gilt auch heute noch. Ich will, dass Augsburg stark im Bundestag vertreten bleibt und deswegen bewerbe ich mich wieder als Direktkandidat für Augsburg und Königsbrunn und gehe davon aus, dass ich in der Fraktion weiter eine bedeutende Rolle spielen werde.
Wir haben eure Wahlplakate in Augsburg gesehen. Bei Claudia stehen Inhalte drauf, Volker wirbt mit seinem guten Namen. Wenn ihr drei Begriffe aussuchen müsstet, für die ihr steht, welche wären das?
Roth: Ich beginne mit „Herz und Haltung“, das steht ja bereits auf meinen Plakaten. Gerade in Zeiten, in denen Menschen verunsichert sind und viel durchgemacht haben, muss Politik Empathie zeigen. Auch Haltung ist mir unheimlich wichtig, und die wird mir wohl kaum jemand absprechen, ich bin mir immer treu geblieben, auch wenn das nicht jeder gut findet. Für mich ist es das größte Lob, wenn ich von Leuten höre: „Ihnen glaube ich, was sie sagen.“ Darüber hinaus stehe ich natürlich für eine vielfältige Demokratie, globale Gerechtigkeit und für den Klimaschutz.
Für was steht Volker Ullrich?
Ullrich: Ich bräuchte vier Begriffe, wenn das erlaubt ist und beginne mit der Vereinbarung von Klimaschutz und Wohlstand. Wie kann es uns gelingen, die CO2-Reduktionsziele national und international zu erhalten und dennoch ein innovatives und wettbewerbsfähiges Land zu bleiben, das Arbeitsplätze schafft und damit Wohlstand erhält. Mein zweiter Punkt: Wie können wir einen starken und schützenden Rechtsstaat erhalten, der sich gegen die Feinde der Demokratie und Verfassung richtet und den Menschen Sicherheit und Schutz gibt. Drittens müssen steuerliche Entlastung, Pflege, Gesundheit und Bildung im Mittelpunkt stehen und die Menschen müssen bei ihrer ganz konkreten Lebenssituation abholt werden. Zuletzt gilt meine Konzentration den vielen Themen unserer Stadt, die einen starken Einsatz auf Bundesebene verlangen: Das sind die Luft- und Raumfahrtindustrie, Sport und Kultur sowie Mobilität und Bahnanbindung. Hier bin ich schon seit vielen Jahren im Einsatz für meinen Wahlkreis.
Roth: Herr Ullrich hat einige Schlagworte genannt, da lege ich gern nach: Ohne Gerechtigkeit ist alles nichts! Selbst bei uns in Deutschland, in einem der reichsten Länder der Welt, ist jedes fünfte Kind arm und der Bildungsaufstieg bleibt für viele verschlossen. Frauen tragen immer noch die Hauptlasten, das hat sich mit der Corona-Pandemie noch verschärft. Und nur die obersten zehn Prozent werden immer reicher, alle anderen ärmer. Wir müssen Armut den Kampf ansagen. Dafür wollen wir Hartz IV überwinden, wir brauchen eine Kindergrundsicherung, gute Jobs und faire Löhne für gleichwertige Arbeit. Und wir brauchen Investitionen für eine sozial-ökologische Transformation, gerade um wettbewerbsfähig zu bleiben und einen klimagerechten Wohlstand zu sichern. Das alles muss natürlich auch gerecht finanziert werden. Da fragt man sich schon, wie diese Rechnung mit Steuersenkungen, einer schwarzen Null und den vielen dringend notwendigen Investitionen am Ende aufgehen soll. Ich finde solche Versprechungen unseriös, und ehrlich gesagt, warum sollen nicht die zwei Prozent der Allerreichsten einen größeren Teil zum Gemeinwohl beitragen.
Thomas Laschyk, Kopf des Anti Fake News-Blogs „Volksverpetzer“, kommt aus Augsburg. Hast du als Konservativer solche Blogs auf dem Schirm, Volker?
Ulrich: Ich habe den Volksverpetzer sogar bei Twitter abonniert, auch wenn ich Herrn Laschyk noch nie persönlich begegnet bin. Wie alle müssen die Demokratie vor der Macht von Fake News und der Lüge schützen, denn das sind keine anständigen Mittel in der politischen Auseinandersetzung. Die Lüge ist ein Gift, das dazu führt, dass die Politik insgesamt Schaden nimmt. Das hat man in den USA oder beim Brexit in Großbritannien gesehen.
Roth: Das gilt übrigens auch für den Umgang der Parteien untereinander und auch hier werden falsche Aussagen von Blogs wie dem Volksverpetzer überprüft und klargestellt. Ich kenne Thomas Laschyk ganz gut und finde die Arbeit, die er mit seinem Team verrichtet unglaublich wichtig. Auch weil diese Arbeit einen selber immer wieder daran erinnert, Form und Inhalt zu wahren.
Ihr beide könntet kaum unterschiedlicher sein. Gibt es etwas, was ihr am anderen richtig gut findet?
Ullrich: Wie eingangs schon gesagt, die große Herzenswärme und Verbindlichkeit, von der die Debattenleitung der Vizepräsidentin Claudia Roth im Bundestag geprägt ist, schätze ich sehr. Sie ist auch die einzige aus dem Präsidium, die sich mal einen Fußballkommentar oder Ähnliches erlaubt und das ist sehr erfrischend. Außerdem schafft sie es, auch Sachverhalte, die ich für grundfalsch halte, mit großer Emotion und viel Haltung vorzubringen und ist hier wirklich eine Überzeugungstäterin. Sie kämpft und streitet für Demokratie und Rechtsstaat und das achte ich sehr.
Roth: Ich schätze an Volker Ullrich, dass er sehr fleißig ist, sehr kluge Reden hält und auch das Selbstverständnis hat, sich nicht immer zu 150 Prozent parteikonform verhalten zu müssen. Am allermeisten schätze ich, dass er in einer sehr schwierigen Debatte im Bundestag, als ich einen Antrag zu klimabedingter Flucht und Vertreibung eingebracht habe, der einzige Nicht-Grüne war, der nicht versucht hat, dieses Thema zu verhetzen. Er hat als einziger die Frage gestellt, was mit den Menschen passiert, deren Heimat weggeschwemmt oder verbrannt ist und ob es hier nicht eine völkerrechtliche Lücke gibt. Das werde ich ihm nie vergessen, denn Politiker aller anderen Parteien haben dies zum Anlass genommen, uns vorzuwerfen, die ganze Welt nach Deutschland holen zu wollen. Volker Ullrich hat sich den Sachverhalt angehört, überlegt und festgestellt, dass man hier nacharbeiten muss. Das macht in meinen Augen einen guten Abgeordneten aus.
5 Kurze zum Abschied:
Welche Platte hast du dir zuletzt gekauft?
Roth: Sämtliche Beethoven-Sonaten von Igor Levit und die neue von Danger Dan, der einen sensationellen Auftritt bei Böhmermann hatte.
Ullrich: Ich bin leidenschaftlicher und regelmäßiger Hörbuchkäufer. Das Letzte war „After the Fall“ von Ben Rhodes, dem stellvertretenden nationalen Sicherheitsberater Barack Obamas.
Welche Persönlichkeit im Beruf hat dir am meisten imponiert?
Roth: Das war Hildegard Hamm-Brücher, eine leidenschaftliche Demokratin, die ich kennenlernte, als sie noch bei der FDP war.
Ullrich: Wenn ihr unbedingt einen Politpromi hören wollt, dann wäre das einmal unsere Kanzlerin Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, der auch nach Niederlagen niemals aufgesteckt hat.
Was liebst du an Augsburg?
Roth: Augsburg ist eine der buntesten Städte dieser Republik mit seiner Diversität, seiner Kunst und seiner Kultur. Das darf auch nie aufhören und ich hoffe sehr, dass wir auch nach Covid diese kulturelle Infrastruktur erhalten können.
Ullrich: Augsburg ist für mich Zuhause und Heimat, da hängt mein Herz daran und das hinterfragt man nicht. Ungeachtet dessen hat die Stadt genau die richtige Größe, sie ist nicht zu groß, um in der Anonymität zu verschwinden und hat die richtige Mischung aus Sport, Internationalität und Tradition. Es ist toll, hier leben zu dürfen.
Wer ist dein Lieblingsmensch?
Roth: Das ist schwer, denn da wären schon einige. Aber über allen steht meine Oma Franziska Frank, die leider schon im Himmel ist. Sie hat mir so viel mitgegeben und immer gesagt: „Claudi, mir kann‘s nicht gut gehen, wenn’s meinem Nächsten schlecht geht.“
Ullrich: Das sind meine Eltern in Königsbrunn, die ich so oft wie möglich besuche. Nicht nur aus kulinarischen Gründen übrigens.
Was ist deine größte Macke?
Roth: Überpünktlichkeit, damit mache ich alle verrückt!
Ullrich: Wenn jetzt auch ich eine Macke in eine Tugend umdeuten soll, dann habe ich den Drang, über neue Dinge immer alles ganz genau wissen zu wollen. Dann recherchiere ich umfangreich und meine Bildschirmzeiten auf dem Iphone sind definitiv viel zu hoch.
Foto: Walter Sianos
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