Wir sind der Fehler

Verfasst am: 01.08.2012 | Autor: Florian Kapfer

Erfolgreicher Tag heute, schon um zehn Uhr vormittags sechs Online-Petitionen unterzeichnet. Think global, sing local!

Erfolgreicher Tag heute, schon um zehn Uhr vormittags sechs Online-Petitionen unterzeichnet. Gegen die neuen Tarife der GEMA und einen Staudamm in Laos, für den Erhalt eines Programmkinos in Castrop-Rauxel, Stehplätze im Stadion sowie das „Festival der 1000 Töne“ beim Wettbewerb „Land der Ideen“. Think global, sing local. Auf der Facebookseite einer befreundeten Akademikerfamilie führen Nutella-Pfannkuchen das Voting fürs heutige Abendessen mit haushohem Vorsprung an, offensichtlich hat der Junior den ganzen Kindergarten inklusive musikalischer Früherziehung rekrutiert. Ich mische mich nicht ein, trotz der dringenden Aufforderungsmail der jungen Mutter, den Rucolasalat zu retten.

Letztens wieder Gespräch zwischen freischaffender Fotografin und freischaffendem IT-Installateur belauscht: „Sag mal, kannst du das abstellen, dass mich mein Computer ständig irgendwas fragt? Ich weiß schon gar nicht mehr, was ich antworten soll...“ Ein Satz für die Ewigkeit, doch der Experte zeigt wenig Gespür für sprachliche Bonmots. „Der größte Fehler sitzt meistens vor dem Rechner“, entgegnet Mr. MacApple und setzt dabei die Miene von Oli Kahn auf, der am Ostseestrand Katrin Müller-Hohenstein das Scheitern der Italiener im EM-Finale erklärt: „Das sind so Kleinigkeiten, die man nicht sieht, die aber spielentscheidend sind, wenn man sie sieht.“ Wir sind uns sicher: Auch ein Titan in Rente weiß, dass der größte Fehler meistens vor dem Fernseher sitzt, nicht im Strandkorb in Heringsdorf.

Am Wochenende dann Abstecher nach Ikea (auf Ikea?), wir kommen relativ problemlos durch und ergötzen uns an den Diskussionen unter den Einrichtungs-Argonauten.
Sie: „Du brauchst doch gar keinen Schreibtisch!“
Er (entrüstet): „Wieso?! Der kostet nur 190 Euro!“
Gespräche wie sie zu hunderten an einem solchen Samstag ablaufen - und wir wundern uns über Niebels Teppich und Wulffis Urlaube! Im Landgericht Augsburg muss sich zurzeit der frühere Deutschlandchef von Media-Markt gegen Korruptionsvorwürfe zur Wehr setzen. Sein mutmaßlicher Komplize antwortet auf die Frage des Richters, was sie mit dem Geld gemacht haben: „Ausgegeben, gut gelebt, schöne Dinge gekauft, Reisen, Hotels, Autos, Haus auf Mallorca, Zweitwohnung in Kitzbühel...“ Im Publikum verständiges Nicken.
Auf dem sonntäglichen Heimweg vom Flohmarkt beobachten wir ein rebellisches Rentnerpärchen beim gutgelaunten Geisterradeln in der Riedinger Straße. Als ihnen eine geballte Ladung jugendlicher Migrationshintergrund entgegenkommt, blicken sie trotzig geradeaus. An der MAN-Kreuzung gießt ein Spaziergänger die Sonnenblumen, die er auf der Verkehrsinsel gepflanzt hat.

Die Stadt hat offensichtlich ihren offensiven Keuschheitsgürtel gelockert, wie es ZDF-Kommentator Oliver Schmidt beim Spiel Portugal gegen Spanien formulierte. Das zweite deutsche Fernsehen schreitet dann auch gleich mutig voran und sendet am Montag nach dem Finale bereits um 20.15 Uhr „Richterin ohne Robe“. Ein wahrhaft prophetischer Titel, zumindest für den deutschen Verfassungsschutz, in dem die Roben gerade zurückgegeben werden wie Pfandbecher bei einem Motörhead-Konzert.
Da loben wir uns doch den Vorsitzenden der Jungen Union Augsburg, Martin Malaczek, der seine Pressemitteilungen bisweilen zwar etwas hastig zu formulieren scheint, aber immerhin zu so schönen Sätzen kommt wie diesen zur Maxstraßenproblematik: „Der kategorische Imperativ sollte auch nach dem dritten Cocktail nicht durch Ballermann-Mentalität ausgetauscht werden.“

In diesem Sinne: Schönen Urlaub!