Augsburg im Januar, die Altstadt. Hinter einem Schaufenster junge Männer, die Spielzeugfiguren bemalen, putzen und zu Schlachtordnungen aufstellen. Ein Gespräch mit Liam...
Warten auf... ...etwas, das bleibt
Augsburg im Januar, ich laufe durch die Altstadt, sehe hinter einem Schaufenster ein Dutzend junger Männer, die kleine Spielzeugfiguren bemalen, putzen und zu Schlachtordnungen aufstellen. Eigentlich total mein Ding, ich habe als kleiner Bub auch sehr gern mit meinen Spielzeugsoldaten diverse Kriege gewonnen. Bei näherem Hinsehen sind es dann aber mitnichten die Soldaten aus meiner Kindheit, eher sind es Monster, sprich: Fantasy. Was mich viel weniger interessiert, aber man muss ja nicht nur über Monster reden, es gibt auch noch Menschen und das Leben an sich. Ein Gespräch mit Liam N.
Was spielt ihr denn da?
Liam: Ich bin ein Yu-gi-Oh!-Spieler, das ist ein Kartenspiel, das basiert auf einer japanischen Anime-Sendung und ist das zweitmeistverkaufte Kartenspiel weltweit.
Was sind das dann so für Karten?
Es gibt Monsterzauber und Fallenkarten. Die haben verschiedene Effekte, wenn dann eine Karte durch einen Kampf oder einen anderen Karteneffekt zerstört wird, darfst du ein Lichtmonster der Stufe vier oder niedriger auf das Spielfeld bringen.
Was treibste sonst so?
Ich fahre als Schausteller durch Süddeutschland und verkaufe Süßigkeiten.
Lockerer Job, bist unterwegs und machst die Leute dick.
Ist aber schon auch ein anstrengender Job, elf Tage im Wohnwagen, morgens um sieben aufstehen, abends um acht aufhören und dann in einer komplett fremden Stadt ohne Freunde.
Du könntest nachts durch die Straßen streunen.
Oder ich sitze im Wohnwagen und spiele X-Box.
Ja, das ist wahrscheinlich realistischer. Welche Bedeutung hat eigentlich der tätowierte Namen mit den beiden Daten auf deinem Arm?
Das ist der Name von meinem besten Freund, der gestorben ist, der hätte heute Geburtstag gehabt.
Wie alt ist er geworden?
Fünfzehn.
Darf ich fragen, woran er gestorben ist?
Er hat den Freitod gewählt.
Den Freitod gewählt mit fünfzehn, warum?
Das weiß keiner, kein Abschiedsbrief, gar nichts.
Spricht das Umfeld noch von deinem Freund, oder wird das alles buchstäblich totgeschwiegen?
Einige wollen es totschweigen, andere wollten sogar T-Shirts mit seinem Gesicht darauf als Gedenken tragen. Seine Mutter hat zum Gedenken eine Homepage eingetragen, und sie postet alle paar Tage etwas, auch jetzt noch, vier Jahre nach seinem Tod.
Es wäre traurig, wenn man einfach vergessen wird.
Ja, das macht mir schon auch irgendwie Angst, deswegen will ich irgendwas hinterlassen, auf das ich stolz sein kann.
Aber was?
Kinder reichen mir, die werden sich an mich erinnern.
Die eigenen Kinder schon, vielleicht auch noch deren Kinder, aber für die danach bist du nur noch eine ferne Erinnerung, ein Name.
Das ist aber eben leider so.
Und wenn du, rein theoretisch natürlich, keine Kinder zeugen könntest?
Dann werd ich eben vergessen, Rockstarwerden ist halt auch sehr utopisch.
Als Rockstar stirbt man mitunter eben auch ziemlich früh.
Ja, die sterben oft mit siebenundzwanzig, dann hätte ich noch sieben Jahre.
Aber du wärst berühmt, man würde sich an dich erinnern.
(überlegt) Ich könnte machen, was ich von Herzen liebe und damit Menschen glücklich machen.
Das denkst du jetzt, aber vielleicht müsstest du dauernd PR-Auftritte absolvieren, Interviews geben, den Plattenbossen in den Hintern kriechen.
Das könnte auch sein, aber das weiß ich ja noch nicht.
Wenn du die Wahl hättest, berühmter Rockstar, noch einige Jahre zu leben, man wird sich an dich erinnern, oder doch Familie, Kinder?
Familie!
Aber keiner würde sich an dich erinnern, ab in die Kiste, aus den Augen aus dem Sinn.
Egal!
Geld, Drogen, Sex, Ruhm das alles schlägst du aus?
Ja.
Kann man nicht auch ohne Familie glücklich sein?
Nein.
Was ist für dich der Sinn des Lebens?
Der wird sich dann irgendwann zeigen, ich hoff nur, dass ich am Ende sagen kann, dass ich nichts bereue, nichts nachholen muss, das wünsch ich mir.
Ist so was erreichbar?
Ja, ich habe ja keine utopischen Wünsche, ich will nicht ins Weltall fliegen. Man kann natürlich nie alles haben, was man will, aber wenn ich dann mal sterbe und mit der Frau zusammen bin, die ich liebe, so wie meine Freundin, dann werd ich sagen: Hey, das war gut!
Danke fürs Gespräch.
Foto: Marcus Ertle